Der See

In einem Sagenbuch aus dem letzten Jahrhundert steht zu lesen:
Hinter der Pfarrkirche von St. Georgen bei Freiburg, etwa 10–15 Minuten nach Norden von derselben entfernt, liegt an der Straße nach Opfingen, bevor dieselbe in den Mooswald sich hineinzieht, eine viereckige Niederung im Ackerfeld mit einem Rain von 1–3 Meter Höhe. Von dieser Einsenkung ist bald eine größere, bald eine kleinere Fläche mit Wasser bedeckt. Der ganze Raum ist sumpfig, mit Weiden und Schilfrohren bewachsen. Das Wasser aber ist namentlich in der Mitte und insbesondere an drei Stellen, „Brunnen“ genannt, angeblich unergründlich tief. Man hat schon mit zwei aneinandergebundenen Gerüststangen hinabgestoßen, auch mit zwei sogenannten Mattenschnüren gemessen – alles ohne auf den Grund zu kommen. Schon öfters suchte man diesen See aufzufüllen, aber noch nie ist es – für die Dauer – gelungen. So hat man z. B. bei der Erbauung der jetzigen Kirche, in den Jahren 1866 ff., alle Steine und allen Schutt von der alten Kirche – die an demselben Platz wie die neue, nur in anderer Richtung, nämlich der Landstraße entlang, also westöstlich stand – dahin geführt und dort abgeladen, so dass fast gar kein Wasser mehr zu sehen war. Auch sonst hat man schon mehrere 100 Wagen voll Schutt dahin geführt, aber immer und immer wieder kam das Wasser zum Vorschein und sank der Boden. In manchen nassen Jahrgängen war so viel Wasser darin, dass fast eine Mühle hätte getrieben werden können. Das Wasser ist lauter Grundwasser. Beim Auswerfen von Gräbern auf dem bei der Kirche gelegenen Gottesacker kam auch schon plötzlich solches zum Vorschein, während denn zur gleichen Zeit das im See meistens abnahm.


An diesen wunderbaren und geheimnisvollen See also schließt sich folgende Sage an. An dieser Stelle war früher einmal ein Schloss, das mit dem auf dem nahen Schinberg (jetzt Schönberg genannt), der Schneeburg, in Verbindung stand. Ein unterirdischer Gang verband die beiden miteinander. Auch führte ein breiter Fahrweg von der Schneeburg hinunter. Die Bewohner des Schlosses waren sehr übermütig, lebten üppig und gottlos. In ihrem Uebermut und ihrer Begierlichkeit wollten sie sich auch im Sommer das Vergnügen des Schlittschuhlaufens nicht versagen. Sie ließen sich deshalb – zwischen ihrem Schloss und dem Dorfe St. Georgen – eine Eisbahn von Salz herstellen. Bei schlechtem Wetter gingen sie auf Brotlaiben, am trockenen Fußes von einem Ort zum andern gelangen zu können, oder aber sie gingen in Stiefeln von ausgehöhltem Brot . Einer der Herren des Schlosses ließ, um unbemerkt überall herumschweifen und seinen Gelüsten fröhnen zu können, sein Ross umgekehrt beschlagen.


Dass die Bewohner der beiden Schlösser dem Gottseibeiuns verfallen waren, beweist folgendes. Als einmal der Schlossherr wieder von der Schneeburg herunter nach dem unteren Schloss fuhr, sprang beim Anfang des Dorfes ein Bursche von hinten auf den Wagen. Wie erschrak der biedere Dorfbewohner aber, als der Herr im Wagen umschaute und ihn mit feurigen Augen ansah (also der leibhaftige Teufel war)!


So wurde denn lange Zeit hindurch die tolle Wirtschaft auf dem Schlosse weitergetrieben. Da auf einmal war eines schönen Morgens das Schloss versunken, und man hat seither keine Spur mehr davon gefunden. An der Stelle aber, wo es einstens stand, hausen jetzt Nixen im See, welche diejenigen – namentlich die Kinder –, die zu nahe sich ans Wasser wagen, zu sich hinabziehen.

 

Quellenangabe: 

 

Alemannia - Zeitschrift für Sprache, Literatur und Volkskunde des Elsasses und Oberrheins von Dr. Anton Birlinger, Autor: Hermann Mayer - Zwei Sagen aus St.Georgen bei Freiburg i.B. Bd. 20 (1892), S. 206-209

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